Es ist eine Zahl, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Experten rechnen damit, dass die rheinland-pfälzische Landesregierung am Nürburgring unglaubliche 500 Millionen Euro an Steuergeldern verbrannt hat. In Worten: Fünfhundertmillionen. Eine Größenordnung, die für viele Menschen nicht vorstellbar ist. Zum Vergleich: Mit dieser Summe könnte man sich über 16.000 Autos im Wert von je 30.000 Euro kaufen. Unfassbar.
Ich frage mich: Wo ist das ganze Geld geblieben?
Fest steht, dass auf vielfältige Weisen Geld in den Nürburgring gepumpt wurde. Von Bank- bzw. Gesellschafterdarlehen über Kapitalerhöhungen bis zu einem Kredit von 330 Millionen Euro, für den das Land unerlaubterweise gebürgt hat. Die Landesregierung hat stets von Investitionen in die Infrastruktur gesprochen. Die EU kritisierte die Zuwendungen bereits als verbotene Beihilfen und witterte eine Wettbewerbsverzerrung. So ganz in die Karten schauen lassen wollte und will sich die Landesregierung nicht.
Die Nürburgring-Rechnung der Politik 2006
2006 machte die SPD-Landesregierung eine schöne Rechnung auf: 150 Mio. Euro sollten am Nürburgring verbaut werden, 80 Prozent der Kosten sollten von privaten Unternehmen und Investoren getragen werden. Eine schöne Vorstellung, in der Realität nur leider nicht umsetzbar. Die Kritik am geplanten Nürburgring-Konzept wurde lauter, dann sollten plötzlich auch nur noch 50 Prozent aus privater Hand stammen. Ein Jahr später wurden 215 Mio. Euro für die Bauten am Ring veranschlagt. Nur noch rund 80 Mio. Euro, also nicht mal 40 Prozent der Gesamtkosten, sollten aus privater Hand fließen. Die landeseigene Nürburgring GmbH sollte im September 2007 75 Mio. beisteuern, knappe zwei Monate später bereits 135 Mio. Euro.
Spätestens bei diesen Zahlen hätten die Alarmglocken angehen müssen. Denn auch die aufgestellten Umsatzprognosen waren weit von der Realität entfernt, wie zum Beispiel der Bund der Steuerzahler Rheinland-Pfalz früh anmerkte. Neben dem Anstieg der Baukosten enthielt der Business Plan keine Abschreibungen. Schon 2009 war absehbar, dass ein Verlust in Höhe von 43 Mio. Euro zu erwarten war! Auch 2010 sahen die Prognosen nicht besser aus, ganz im Gegenteil, der Verlust sollte noch höher ausfallen.
In diese Kanäle floss das Geld
Geflossen ist das Geld in zahlreiche Unternehmen, die am Bau der neuen Gebäude am Nürburgring beteiligt waren. Zudem erlaubt die Landesregierung den Aufbau eines unübersichtlichen Geflechts an GmbHs, die zum Nürburgring gehörten. So floss Geld in verschiedenste Firmen und wurde nie wieder gesehen. Und natürlich musste in Personal investiert werden, das deutlich aufgestockt wurde. Die Ausgaben wurden immer höher und höher, statt privater Investoren gab es nur private Unternehmen, die vom Ausbau profitiert haben.
Bis hin zu Capricorn, das nur 77 Millionen Euro hinlegen musste, obwohl damals eine halbe Milliarde an öffentlichen Geldern hineingesteckt wurde. Ein Delta, das laut nach Erklärungen verlangt.
Ob Flughafen Berlin, Elb-Philharmonie in Hamburg und jetzt der Nürburgring. Eine Frage treibt mich immer wieder um: Wieso wird keiner der handelnden Politiker zur Rechenschaft gezogen?
Die Versprechungen des Kurt B.
Nehmen wir den damaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck beim Nürburgring. Der sagte öffentlich, obwohl die Prognosen schlecht waren: „Der rheinland-pfälzische Steuerzahler wird keinen Euro draufbezahlen.“ Markige Worte, die viele Wähler, man entschuldige das Wortspiel, für bare Münze genommen haben. Und ein Jahr später, als die Prognosen noch schlechter wurden, sagte Beck mit voller Überzeugung: „Wir werden in Zukunft den Steuerzahler nicht in Anspruch nehmen.“ Und noch ein Jahr später, als das Kind fast komplett in den Brunnen gefallen war und die Umsätze des Nürburgrings am Boden lagen, legte Beck nach: „Der wird sich so positiv entwickeln, dass in ein paar Jahren alle Väter und Mütter dieser Idee sein wollen.“ Das ganze natürlich öffentlichkeitswirksam im Wahlkampf zur Landtagswahl 2011 in Rheinland-Pfalz, aus der – oh Wunder – die SPD als stärkste Kraft hervorging.
Sollte die Öffentlichkeit bewusst getäuscht werden?
Ich weiß nicht, ob ich der Einzige bin, der das so sieht: Meiner Meinung nach hat der „Landesvater“ voll-verantwortlich diese drei Sätze gesprochen – und hat drei Mal nicht Wort gehalten. Das muss man sich mal vorstellen. In jedem anderen Betrieb wird man an solchen Sätzen gnadenlos gemessen. Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten: Kurt Beck hat grob fahrlässig gehandelt und sich dem Projekt nicht näher gewidmet. Oder er hat die Situation unterschätzt und an eine bessere Entwicklung vorhegeglaubt. Oder, und das ist für mich die wahrscheinlichste Variante: Kurt Beck hat mit vollem Bewusstsein und Kenntnis der Situation den Steuerzahler betrogen und gleichzeitig mit den Pächtern Jörg Lindner und Kai Richter zwei Sündenböcke auserkoren, die sein eigenes Scheitern überdecken sollten.
Was machen die beteiligten Politiker heute?
Konsequenzen musste bisher nur einer der damals beteiligten erleiden. Der 2009 zurückgetretene Finanzminister Ingo Deubel wurde fünf Jahre später für seine Lügen und Untreue zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist noch lange nicht rechtskräftig, eine Entscheidung wird noch lange auf sich warten lassen.
Kurt Beck genießt sein Leben als Berater eines Pharmakonzerns und tingelt durch Talkshows und RTL-Chartshows. Verantwortung für sein Handeln übernahm er nicht. „Politische Fehler“ und, jetzt kommt es, die damalige Weltwirtschaftskrise waren Schuld. Reue? Persönliche Schuldeingeständnisse? Fehlanzeige. Der ehemalige Wirtschaftsminister Hendrik Hering und Carsten Kühl, der Ingo Deubel als Finanzminister nachfolgte und bis heute im Amt ist, haben ebenfalls keine Konsequenzen zu befürchten. Auch Ernst&Young, die mit ihren Analysen und Konzepten zum weiteren Niedergang des Nürburgrings beitrugen, stehen in keiner Verantwortung. Dass Fehler gemacht wurden, bestätigen alle Beteiligten. Den Kopf hinhalten möchte aber niemand.
2014 wurde der Nürburgring schließlich für 77 Millionen Euro an Capricorn verkauft. Der Verlust von mehreren hundert Millionen Steuergeldern wird dabei meinem Empfinden nach völlig gleichgültig hingenommen. Hoffen wir, dass die damals handelnden Personen nie wieder auch nur ein Wort zum Kulturgut Nürburgring mitreden dürfen – und dass mit Capricorn nicht meine Befürchtungen wahr werden, die ich bereits geäußert habe.